50000 Stunden am Beckenrand – Eva Herbst wird unter einem Vorwand in die Schwimmhalle gelockt und von ehemaligen Sportlern zum Abschied überrascht„Liebe Mutti, du bist für mich die beste Trainerin, die ich je hatte." Sabine Krauß kann die Tränen nicht zurückhalten, als sie diesen Satz zu ihrer Mutter Eva Herbst sagt. Dabei hatte die Olympiavierte von Atlanta und mehrfache EM-Medaillengewinnerin im Lagenschwimmen viele gute Trainer. Wie zum Beispiel Stefan Hetzer – er stand als Coach hinter den sechs Olympiasiegen von Kristin Otto – oder Bernd Henneberg, der Dagmar Hase und Antje Buschschulte zu olympischen Meriten führte. Gemeinsam mit ihrer Freundin und Trainer-Kollegin Brit Lögow hatte Sabine Krauß am Montagabend in der Schwimmhalle West einen Abschied für Eva Herbst vorbereitet, der eine echte Überraschung war.
„Ich habe wirklich nichts geahnt", sagte die 61-Jährige, die unter dem Vorwand in die Schwimmhalle gelockt wurde, etwas abzuholen. Dort erhielt sie die Badelatschen, in der 25-m-Halle der Hans-Driesch-Straße wurde sie von 20 ehemaligen Schützlingen mit Beifall begrüßt. Wie in alten Zeiten führten ihre früheren Athleten noch einmal ein kleines Training durch, auch wenn einige nicht mehr ihr Idealgewicht ins Wasser brachten. Sebastian Halgasch sagte jedoch zum Ex-Langstreckenspezialisten Toni Franz, der heute als Urologe an der Uni-Klinik arbeitet: „Wir werden alle immer fetter – nur du wirst immer dürrer."
Nach der Übungseinheit die nächste Überraschung: Viele langjährige Weggefährten hatten eine kurze Widmung und ein Foto geschickt, diesen Bildband erhielt Eva Herbst ebenso wie eine Spende von 2587,84 Euro für einen Mallorca-Urlaub mit ihrem Ehemann und Leutzscher Vereins-Chef Jochen. Die Summe ist deshalb nicht rund, weil einige frühere Schwimmer in den USA leben und in Dollar überwiesen. Sebastian Halgasch, der 2000 in Athen Silber bei der Kurzbahn-WM holte, schenkte seiner Ex-Trainerin seine erste Medaille bei den Erwachsenen – die Gold-Plakette über 200 m Rücken bei den deutschen Meisterschaften 1999 in Leipzig. Der damals 18-Jährige war gleich nach dem Gold-Rennen klatschnass zur Trainerin gegangen und hatte sie umarmt. Am Montag sprach er sie wie früher mit „böse alte Frau" an, fügte aber hinzu: „Das war nie böse gemeint, aber wenn das Trainingsprogramm hart war, musste das einfach sein."
Viele ihrer Schwimmer lobten ihr pädagogisches Geschick und ihre Motivationskünste. Wenn morgens um 6 Uhr keiner als Erster ins Wasser springen wollte, warf Eva Herbst kurzerhand Geldmünzen in die Chlorbrühe – und der Bann war gebrochen. „Bei dir hat das Training Spaß gemacht. Das ist das Wichtigste: Schwimmen muss Spaß machen", so Tochter Sabine. Auch das pädagogische Geschick der Schwimmlehrerin spielte eine Rolle – sie hatte vor der Trainer-Karriere zehn Jahre an der Schule unterrichtet und kam daher mit so manchem schwierigen Charakter zurecht. Für den Titel des größten Chaoten unter ihren Sportlern gab es am Montag viele Bewerber – ausdiskutiert wurde dies nicht. Manch einer trennte sich einst im Unfrieden von ihr – und war der Trainerin nun dankbar. Alexander Jung meinte: „Wichtig ist nicht, ob es jeder von uns zu Weltmeisterschaften oder Olympia geschafft hat, sondern dass wir viel fürs Leben mitgenommen haben."
Ihre langjährige Freundin Erdmute „Erdi" Wittner hatte ausgerechnet, dass Eva Herbst 50000 Stunden am Beckenrand verbracht hat. „Ich kenne Eva seit 1960 und mit am besten. Sie ist stur. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann zieht sie das durch." Auch deshalb schaffte sie den Sprung vom Trainingszentrum zur Spitzentrainerin, auch wenn sie von den etablierten Kollegen lange belächelt und nicht ernst genommen wurde. 2008 durfte sie 40 Jahre nach ihrem eigenen Auftritt in Mexiko auch als Trainerin zu Olympia in Peking.
Die Sturheit spielte auch beim vorzeitigen Ende ihrer eigenen Karriere eine Rolle. Als Olympia-Fünfte und Titelverteidigerin stieg sie mit 19 Jahren einfach nicht in den Bus zu den DDR-Meisterschaften ein. „Ich hatte Wind bekommen, dass man nur Jochen oder mich zur EM 1970 nach Barcelona mitgenommen hätte, weil wir politisch nicht als konform galten." Also hörte sie auf, was sie später bereute. Damals sagte sie: „Meine Kinder werden niemals Schwimmer." Zum Glück kam es anders. Sabine und Stefan nahmen zwischen 1996 und 2008 fünf Mal an Olympischen Spielen teil. Jedes Mal hieß die Trainerin Eva Herbst.Frank SchoberLVZ2012-12-19