„Ziele öffentlich machen" – DSV-Sportdirektor Lutz Buschkow über das deutsche Sportsystem und die Lehren von LondonLutz Buschkow erlebte schon leichtere Wochen und Monate in seiner beruflichen Karriere. Der Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) und Bundestrainer der Wasserspringer hatte bei den Olympischen Spielen ein schwaches Abschneiden seines Verbandes zu verantworten. Mit nur einmal Silber durch Langstreckenschwimmer Thomas Lurz verfehlte der DSV die gemeinsam mit dem DOSB erarbeitete Zielvorgabe von zwölf Medaillen klar. Am Rande der gestern zu Ende gegangenen Bundestrainer-Konferenz in Leipzig sprach der 54-Jährige im LVZ-Interview über mögliche Ursachen.
Frage: Wie wird man als Vertreter eines nicht so erfolgreichen Verbandes von den Kollegen empfangen? Gibt es eher Aufmunterung oder Kritik und gar Häme?
Lutz Buschkow: Die meisten Bundestrainer sind lange im Geschäft. Sie wissen alle, dass es schöne und weniger schöne Zeiten gibt. Ich empfand die Auseinandersetzung in Leipzig sachlich und fair.
Unter anderem sollte der Erfahrungsaustausch im Vordergrund stehen. Was nehmen Sie von anderen Sportarten mit?
Das ist der größte Faustpfand, dass man mal Zeit hat, mit Kollegen anderer Verbände über deren Probleme und Lösungswege zu reden. Interessant finde ich zum Beispiel, dass der Ski-Verband seine Aus- und Fortbildung für alle Landesverbände zentral organisiert.
Sind die Sportarten vergleichbar?
Hockey lässt sich sicher schwer mit Fußball vergleichen. Aber es gibt interessante Trainingskonzepte. Wenn zum Beispiel alle Judoka und Radsprinter in der Olympia-Vorbereitung auf Höhentraining setzen, dann sollten die Schwimmer als klassische Ausdauersportart aufhorchen.
Sie kritisierten in London, dass die Öffentlichkeit vierte bis achte Plätze kaum honoriert. Stehen Sie dazu? Oder sehen Sie inzwischen ein, dass Medaillen das alleinige Maß der Dinge sind?
Natürlich ist der Medaillenerfolg für jede Sportart das Maß der Dinge. Dennoch kann bei der Dichte der Weltspitze für den einzelnen Sportler Platz vier bis acht ein tolles Ergebnis sein. Wer bei Olympia ins Finale kommt, hat eine Achtung seiner Leistung verdient. Vieles hängt natürlich von der Vorleistung ab. Für andere ist Platz vier eine schwere Niederlage.
Ist die Elite aus Übersee im Schwimmen oder Wasserspringen hoffnungslos enteilt?
Wir schätzen unser Potenzial realistisch ein, dazu hilft uns das IAT mit seiner Weltstands-Analyse. Doch es ist unsere Aufgabe, Trainingsmittel und Fördermaßnahmen zu finden, wie wir den Rückstand aufholen oder den Platz in der Spitze verteidigen. Mit Paul Biedermann oder dem Synchronpaar Hausding/Klein haben wir ja Athleten, die mehrfach nachgewiesen haben, dass sie zur absoluten Weltelite gehören.
Warum haben diese Sportler ihr Potenzial in London nicht abgerufen?
Hausding/Klein waren bei allen Weltcups und Weltmeisterschaften im Medaillenbereich. Sie haben sich einen groben Patzer erlaubt – damit bist du weg und wirst nur noch Siebter. Im Schwimmen ist die Analyse Gegenstand unseres nächsten Treffens der Struktur-Kommission Mitte November. Dem möchte ich nicht vorgreifen.
Experten wie Roland Matthes und Michael Groß haben dem DSV im Sommer die Leviten gelesen. Wie empfinden Sie deren Kritik und Hinweise?
Wir haben Meinungsfreiheit. Sicher ist das eine oder andere Quäntchen Wahrheit dran. Weiter möchte ich dies öffentlich nicht kommentieren. Wir werden eine ehrliche Analyse vorlegen.
Die Trainer-Problematik ist in Leipzig ausführlich besprochen worden. Wie steht es um die Qualität und Motivation der Trainer in Ihrem Verband?
Wir haben gerade im Schwimmen zahlreiche engagierte und ambitionierte Trainer. Leider spiegelt sich dies bei der Bewerberlage für ausgeschriebene Stellen aus verschiedenen Gründen nicht wider. Das sind aber auch keine Jobs für 38 dreiviertel Stunden.
Zuletzt waren vier Jahre lang die Cheftrainerstellen Schwimmen und Wasserspringen unbesetzt. Sind diese Personen nicht Grundvoraussetzung, dass es bis 2016 bergauf geht und Sie als Sportdirektor entlastet werden?
Unser Personalmodell soll ganz klar auch personell unterfüttert werden. Wichtig ist, dass es unter den Bundestrainern keine Reibungsverluste gibt.
Sind Sie dafür, die Zielvereinbarungen für 2016 öffentlich zu machen?
Die Briten haben uns in Sachen Transparenz vieles vorgemacht. Ich habe nichts dagegen, Ziele öffentlich zu machen. Natürlich müssen diese realistisch und erreichbar sein.
Waren die DSV-Ziele für 2012 realistisch?
Unsere Vorgabe war schon sehr ambitioniert. Je zweimal Gold, Silber und Bronze bei den Beckenschwimmern und zwei Freiwasser-Medaillen waren eine knüppelharte Variante. Vor allem, was die Medaillenfarbe betrifft. Dass man als Kernsportart aber um sechs Medaillen im Becken kämpfen will, ist normal.
Welche Dinge, die nicht in Ihrer Macht stehen, würden Sie gern im deutschen Sport ändern?
Ich habe sehr hohe Qualitätsansprüche an die Eliteschulen des Sports. Wie in vielen Bereichen gibt es da enorme Unterschiede. Mir ist es wichtig, dass Schulzeitstreckung nicht erst in der elften Klasse beginnt. Denn unser Nachwuchs muss enorme Trainingsumfänge leisten, um international konkurrenzfähig zu sein. Die Sportler müssen sich quälen können, es geht um die Entwicklung von Charaktereigenschaften. Wenn ich die hohen schulischen Umfänge addiere, bin ich bei 60 bis 70 Wochenstunden. Das ist Sportlern und Eltern schwer vermittelbar.
Welche Rolle spielen Leipzig und Dresden im künftigen DSV-Konzept?
Im Wasserspringen sind das wie gehabt zwei wichtige Bundesstützpunkte. Im Schwimmen muss Leipzig zunächst ein Konzept vorlegen. Gemeinsam mit der Sportfakultät, dem IAT und dem Schwimmkanal haben wir sehr gute Ausbildungsmöglichkeiten, die für Leipzig sprechen.Interview: Frank SchoberLVZ2012-11-08